Scharf beobachtete Backen

 

«Schade» dachte Eugen, als sich der blaue Skianzug mit zwei kräftigen Stockstössen nach vorne schob und sich im letzten Moment bevor der Sessel in seine Kniekehlen schlug, neben ihn setzte. Er hatte sich auf eine entspannende, ruhige Fahrt gefreut. Er genoss es, im Sessel zu hängen, über die verschneite Landschaft zu schweben und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Am schönsten war es am späten Nachmittag, wenn das Licht der sinkenden Sonne die Geräusche, die von der Piste hochstiegen samtweich einpackte. Und nicht reden müssen! Er hasste diese Liftgespräche, die nie über das Wetter, die Schneeverhältnisse, «Sind sie auch in den Ferien?» und «Es hat jedes Jahr mehr Leute auf den Pisten...» hinausgehen.

 

Der blaue Skianzug richtete sich neben ihm ein, nahm die Skistöcke in eine Hand, zog die Handschuhe aus, riss sich die Mütze vom Kopf und schüttelte die braunen Haare, die nun plötzlich bis auf die Schultern fielen. «So!» und ein langes Ausatmen zeigten an, dass sie angekommen und eingerichtet war. Eugen nahm die Stöcke in eine Hand, zog die Handschuhe aus, riss sich die Mütze vom Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen Haare. Fast hätte er «So!» gesagt, aber er verwandelte es in einen langen, tiefen Atemzug mit schnaubendem Ausatmen. Das hätte zu sehr nach Nachäffen geschmeckt. Sie konnte ja nicht wissen, dass sie störte.

 

«Zu zweit ist es doch viel gemütlicher!»

Ach, jetzt geht’s schon los! seufzte Eugen innerlich. «Ja natürlich». War seine Antwort. Er hoffte, sie war knapp genug, um das Gespräch zu beenden.

«Sie haben einen ganz schönen Zug auf Ihren Skiern. Ich musste mich mächtig anstrengen, dass ich Ihnen folgen konnte.»

Eugen spürte, wie Aerger in ihm hochstieg. Aber auch eine Mischung aus Ueberraschung und Geschmeicheltsein.

«Sie sind mir nachgefahren?»

«Ja, ich war so frei.»

Macht die sich lustig über mich? Diese Formulierung! «Ich war so frei...»

«Hab’ ich nicht bemerkt.» sagte er so abweisend wie es ihm gelang.

«Ich fahre gerne hinter sportlichen, gutgebauten Männern her. Ich konzentriere mich ganz auf die Pobacken. Wissen Sie dieses Muskelspiel in den straff gespannten Hosen!»

Eugen traute seinen Ohren nicht. «Was?» wollte er fragen, aber er öffnete nur lautlos den Mund. Er drehte den Kopf nach links. Die Frau neben ihm blickte geradeaus und nestelte an der Schlaufe ihres Skistocks herum.

 

«Ihre rechte Pobacke ist etwas stärker ausgebildet als die linke, aber sie machen das mit einem aufregenden Hüftknick in der Rechtskurve ganz geschickt wett. Das ist mir übrigens schon gestern auf der Langlaufloipe aufgefallen.»

«Was?» dieses Mal war es hörbar. Eugen schüttelte fassungslos den Kopf.

 

Die Frau im blauen Skianzug war immer noch mit ihrem Skistock beschäftigt. und blickte konzentriert gerade aus, als hätte sie gar nichts gesagt.

 

«Reiner Zufall! Ich war am späten Nachmittag auf dem Rückweg Richtung Sils. die Sonne stand schon tief im Taleinschnitt bei Maloja und blendete mich. Ich brauchte einen Orientierungspunkt, damit ich das Gleichgewicht halten konnte. Und da eigneten sich Ihre Hinterbacken ausgezeichnet. Sie liefen einen regelmässigen Rhythmus, den ich gut übernehmen konnte. Im enganliegenden Langlaufdress waren Ihre Muskeln noch besser erkennbar.»

 

Eugen starrte ungläubig und leicht amüsiert auf das Gesicht der Frau auf dem Nebensitz. Sie blickte immer noch gerade aus. Keine Spur von Lächeln oder Verlegenheit in ihrem Gesicht.

 

«Ja ich war auch auf dem Rückweg. Ich erinnere mich, dass jemand bei mir angehängt hatte. Aber das passiert oft. Und heute haben Sie mich wieder gesucht? Wie haben Sie mich überhaupt wieder gefunden und erkannt?»

 

«Ach, wissen Sie. Solche Hinterbacken gibt es nicht zweimal. Gesucht habe ich Sie nicht, aber wahrscheinlich wurde ich magisch angezogen. Nicht, dass mir Ihre Hinterbacken speziell gefallen würden oder mich irgendwie erregen. Aber sie sind nun einmal unverwechselbar.»

 

«Ach so!» Eugen konnte seine Enttäuschung nicht ganz verbergen.

«Sie studieren also Pobacken?»

 

«Ja, wohin schauen denn Sie, beim Skifahren oder auf der Loipe?»

 

«Ich?» Die Frage erwischte Eugen auf dem falschen Bein. «Verschiedenes, kommt ganz drauf an. Die Landschaft, die Piste, die Buckel, die anderen Skifahrer, oder beim Langlaufen die Spur vor mir, die Sonne, das Licht.... eben alles was so auftaucht». Eugen kam sich blöd vor.

 

«Das ist mir zu allgemein. Was genau sehen Sie und was denken Sie dabei?»

 

«Keine Ahnung!» rutschte es Eugen heraus. «Ach kommen sie, Sie wissen doch ganz genau was Sie denken, wenn Sie über die Piste kurven!»

 

«Nein ich weiss es wirklich nicht!» Jetzt war der Aerger wieder da. Lassen Sie mich doch in Ruhe, dachte er.

 

«Jetzt zum Beispiel denken Sie: «Lassen sie mich doch in Ruhe mit Ihren Theorien. Was geht Sie das überhaupt an?» und gleichzeitig sind Sie auch neugierig und fragen sich, wo denn dieses Gespräch noch hinführen würde. Stimmt’s?» Eugen errötete. Er fühlte sich durchschaut. «Ja, das stimmt.»

 

«Sehen Sie! Und der Grund warum Sie sagten, Sie wüssten nicht, was Sie beim Skifahren sehen und denken, ist nur Ihre Angst, Sie könnten eine ihrer geheimen Phantasien verraten. Darum sage ich Ihnen, was Sie während der letzten Abfahrt dachten: Oben bei der Einfahrt in den Steilhang fuhr eine Frau mit blonden Haaren in einem roten Skianzug vor Ihnen. Zuerst dachten Sie: «Wie schafft die wohl die Buckel im Steilhang, so wie die auf den Skiern steht. Typisch Frau, viel zu aufrecht. Vielleicht überhole ich sie besser vor der Einfahrt. Oder halte mindestens genügend Abstand. Aber hübsch sieht sie aus. Die möchte ich gerne von vorne sehen. Ob sie wohl allein ist? Nein, der Mann da vorne scheint zu ihr zu gehören. Und damit war Ihr Interesse weg und Sie konzentrierten sich auf den ersten Schwung in den Steilhang. Erinnern Sie sich? So war es doch, oder?»

 

Eugen erschrak. Ja, er erinnerte sich. So war es. Aber seine Phantasien waren noch weiter gegangen. Er hatte sich vorgestellt, wie diese Frau im roten Skianzug wohl im Bett wäre. Und dabei hätte er fast den ersten Schwung in den Steilhang verpasst.

 

«Wahrscheinlich war das nur der harmlosere Teil Ihrer Gedanken. Beim Einschwung in den Steilhang wirkten Sie ziemlich unkonzentriert.»

 

Eugen hielt den Atem an. Was sollte er dazu sagen?

 

«Nein, nein. Das hatte nichts mit dieser Frau zu tun. Ich hatte nur einen Moment das Gewicht auf dem falschen Ski..»

 

Jetzt huschte zum ersten mal ein Lächeln über das Gesicht der Frau.

 

«Und gestern auf dem Silvaplanersee. Woran dachten Sie da?»

 

Eugen war erleichtert, dass sie nicht insistierte. Aber die Gefahr war noch nicht gebannt. «Ich weiss es nicht mehr!»

 

«Soll ich es Ihnen sagen?» Sie wartete Eugens Antwort gar nicht ab.

«Sie achteten auf ihren Laufrhythmus, dachten an technische Details wie die Gewichstverlagerung, die Gleitphase, den Rhythmus des Stockeinsatzes und schauten in die sinkende Sonne.»

 

Das schien Eugen unverfänglich und es stimmte tatsächlich. «Ja, genau, das dachte ich! Aber das tun wohl alle.»

 

«Sie stellten sich aber auch noch vor, dass die Läuferin hinter Ihnen, Ihnen auf die Pobacken blickt und erotische Phantasien hat. Sie freuten sich, dass Sie die dunkelblauen , seidigschimmernden Leggings angezogen hatten, in denen die Muskeln so gut zur Geltung kamen. unwillkürlich spannten Sie die Pobacken an und wären fast aus dem Rhythmus gefallen. Das brachte Sie zurück zu ihren lauftechnischen Gedanken.»

 

Wieder fühlte sich Eugen ertappt. Er lachte gequält.

 

«Ich weiss, dass es so war. Sie müssen es mir nicht bestätigen. Sie hatten übrigens am Anfang des Sees kurz zurückgeschaut und wussten, dass ich hinter Ihnen lief.»

 

Sie öffnete die Arretierung der Sicherungsstange und hobden Bügel nach oben. Eugen blickte auf und sah die Bergstation vor sich. Er schlüpfte in die Laschen der Stistöcke und machte sich zum Aussteigen bereit. Mit einem kräftigen Stoss löste sich der blaue Skianzug vom Sessel. Eugen wollte etwas rufen. Da drehte die Frau den Kopf, kniff ein Auge zu, lachte und rief:

«Also gute Fahrt und geniessen Sie Ihre Phantasien!»

 

«Gute Fahrt» rief Eugen und blickte auf die blauen Pobacken, die im weichen Spätnachmittaglicht verschwanden.

 

Tony Ettlin, 2002

 

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